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PolitikNahost

"Vom Fluss bis ans Meer" - Streit um Pro-Palästina-Slogan

15. November 2023

"From the river to the sea“ ist immer wieder auf Pro-Palästina-Demonstrationen zu hören. Für die einen klar antisemitisch, für die anderen ein Aufruf für gleiche Rechte. Mittlerweile ist er in Deutschland verboten.

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Nahostkonflikt - Pro-Palästinenser-Demonstration in London
Tausendfach skandiert, doch hochumstritten: pro-palästinensische Parole "From the river to the sea" auf einer Demonstration in LondonBild: Vuk Valcic/ZUMA Press Wire/dpa/picture alliance

Träge windet sich der Fluss Jordan vom äußersten nordöstlichen Zipfel Israels durch den See Genezareth bis ins Tote Meer. Den größten Teil seines rund 250 Kilometer langen Flusslaufes bildet der Jordan die Grenze zwischen Israel und dem Westjordanland auf der einen Seite und Jordanien auf der anderen.

Fast genauso lang ist die zusammengenommene Mittelmeerküste von Israel und dem Gazastreifen im Westen. Der Streifen Land, den der Fluss im Osten und das Meer im Westen umschließen, ist gerade einmal 60 Kilometer breit.

Geographisch ist also völlig klar, was der Slogan "From the river to the sea" umreißt: Israel, das Westjordanland und den Gazastreifen. Die politische Botschaft, die von dieser Parole ausgeht, ist daher hoch umstritten. In Deutschland wurde sie Anfang November vom Innenministerium verboten. 

Parole auf Demos und Sweatshirts

Seit dem Terrorangriff der militant-islamistischen Hamas, bei dem am 7. Oktober israelischen Angaben zufolge mindestens 1200 Menschen getötet und rund 240 weitere als Geiseln verschleppt wurden, und der darauf folgenden israelischen Offensive in Gaza mit mehreren tausend getöteten Palästinensern hat es weltweit bereits unzählige Solidaritätskundgebungen für beide Seiten gegeben. Teils standen Demonstrationen in der Kritik, weil auf ihnen islamistische und antisemitische Propaganda verbreitet wurde.

Auf vielen pro-palästinensischen Demonstrationen wird unter anderem die Parole "From the river to the sea - Palestine will be free" skandiert. Auch die Abkürzung "vom Fluss bis zum Meer" hallt dabei wider, kursiert in sozialen Medien und ist mittlerweile sogar als Aufdruck auf Kerzen, Fahnen und Sweatshirts zu sehen, die im Netz vertrieben werden. 

Nahostkonflikt - pro-palästinensische Demonstration in Washington
Auf pro-palästinensischen Demonstrationen (wie hier in Washington D.C.) ist der Slogan häufig zu hörenBild: Elizabeth Frantz/REUTERS

Dabei handelt es sich um einen Slogan, der pro-israelische und pro-palästinensische Aktivisten mit neuer Kraft aufwühlt - obwohl er eigentlich schon Jahrzehnte alt ist. Viele pro-palästinensische Aktivisten sagen, es sei ein Aufruf zu Frieden und Gleichheit nach jahrzehntelanger, israelischer Besatzung über Millionen von Palästinensern. Andere hingegen hören darin eine klare Forderung nach der Zerstörung Israels. 

Jahrzehntealt und vielfach genutzt

Erstmals genutzt wurde der Ausdruck "Vom Fluss bis ans Meer" schon 1964 von der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO). Bei ihrer Gründung forderte sie die Errichtung eines einzigen Staates, der sich vom Jordan bis zum Mittelmeer erstrecken sollte. Den 1947 von der UN beschlossenen Teilungsplan für Palästina lehnte die PLO entschieden ab.

Seit dem Sechstagekrieg 1967 wurde der Begriff zunehmend von anderen palästinensischen Gruppierungen übernommen und dabei auch als Aufruf zur Befreiung Palästinas von der israelischen Besatzung verwendet - von friedlichen Initiativen zur Förderung einer palästinensischen Unabhängigkeit, aber eben zunehmend auch von radikalen Organisationen wie der "Volksfront zur Befreiung Palästinas" (PFLP) oder der 1987 gegründeten Hamas.

Beide werden von der EU, den USA und weiteren Staaten als Terrororganisationen eingestuft. Die Hamas reklamierte den Slogan spätestens ab 2012 für sich, als ihr Anführer Chalid Maschal anlässlich des 25. Jahrestages der Gründung in einer Rede erklärte: "Palästina gehört uns vom Fluss bis zum Meer und vom Süden bis zum Norden". 

Palästina Der Palästinensische Hamas-Führer Khaled Mashaal
Reklamierte die Parole für seine Organisation: Hamas-Führer Chalid MaschalBild: Jordan Pix/ Getty Images

2017 fand dies auch Eingang in die überarbeitete Charta der Terrororganisation, in der auch zur gewaltsamen Zerschlagung des Staates Israel aufgerufen wird. Und im Dezember 2022 veröffentlichte die Hamas den Slogan erneut - mit einer Landkarte der Region, die zwar einen Palästinenserstaat zeigte, in der Israel aber nicht verzeichnet war.

Friedlich oder radikal?

Tatsächlich lässt die Parole offen, was "ein freies Palästina vom Fluss bis zum Meer" für das Existenzrecht Israels bedeuten würde. Somit kann sie von friedlichen wie radikalen Akteuren gleichermaßen verwendet werden.

2021 etwa argumentierte der palästinensisch-amerikanische Wissenschaftler Yousef Munayyer, dass die Formel "vom Fluss bis zum Meer" lediglich den Raum beschreibe, in dem Palästinensern seit ihrer Vertreibung 1948 zahlreiche Rechte verweigert würden - in den besetzten Gebieten, aber eben auch in Israel selbst. Sie drücke den Wunsch nach einem Staat aus, in dem "Palästinenser in ihrer Heimat als freie und gleichberechtigte Bürger leben können, die weder von anderen beherrscht werden noch andere dominieren".

Es gebe "keinen Quadratzentimeter des Landes zwischen dem Fluss und dem Meer, auf dem die Palästinenser Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit haben", twitterte der Wissenschaftler vom Arab Center in Washington noch Anfang des Monats, "und es war noch nie so wichtig, dies zu betonen wie jetzt."

Ist der Slogan antisemitisch?

Auf pro-israelischer Seite akzeptiert man diesen Interpretationsspielraum nicht. Hier wird der Slogan in weiten Kreisen als eindeutig antisemitisch und antizionistisch aufgefasst - und als kaum verhohlene Aufforderung zur Auslöschung Israels.

"Habt keinen Zweifel daran, dass die Hamas diese 'Vom Fluss bis zum Meer'-Sprechchöre bejubelt, denn ein Palästina zwischen dem Fluss und dem Meer lässt keinen Zentimeter Platz für Israel übrig", heißt es in einem offenen Brief, der von 30 jüdischen Medienhäusern aus aller Welt unterzeichnet und in der vergangenen Woche veröffentlicht wurde.

USA | Pro-Israel Demo in Washington
Viele Israelis sehen in der Parole einen Aufruf zur gewaltsamen Zerstörung ihres LandesBild: Leah Millis/REUTERS

"Natürlich ist nichts Antisemitisches daran, sich dafür einzusetzen, dass die Palästinenser einen eigenen Staat bekommen sollen", schreibt auch das American Jewish Committee auf seiner Webseite. "Allerdings ist es antisemitisch, die Beseitigung des jüdischen Staates zu fordern; die Hamas oder andere Organisationen, die die Zerstörung Israels fordern, zu loben; oder zu behaupten, dass Juden kein Recht auf Selbstbestimmung hätten." Spätestens dadurch, dass vor allem radikale palästinensische Organisationen die Parole übernommen hätten und für sich reklamierten, sei ihre Nutzung untragbar geworden, so die Argumentation.

Rügen und Verbote in verschiedenen Ländern

Hauptstreitpunkt bleibt also: Schließt der Slogan die israelische Bevölkerung ein oder aus? Fordert er lediglich eine Gleichberechtigung für die Palästinenser oder die Eroberung und Auslöschung des Staates Israel?

Auch in Deutschland waren sich die Justizbehörden darüber lange uneins. Lange galt die Parole als grundsätzlich von der Meinungsfreiheit gedeckt. Strafbar seien Aussagen nur, wenn sie zu Gewalt aufstachelten, das sei aber bei dieser Parole nicht eindeutig festzustellen.

Mittlerweile hat hier jedoch ein Umdenken stattgefunden. Das Bundesinnenministerium hat die Verwendung der Parole in Deutschland mittlerweile verboten.

Es sieht darin eine Unterstützung der Hamas und einen Aufruf zur Gewalt gegen Juden und den Staat Israel. Wird sie doch genutzt, drohen Geldstrafen wegen "Volksverhetzung", im schlimmsten Fall sogar eine Haftstrafe von bis zu drei Jahren. Erste Bundesländer setzen die strafrechtliche Verfolgung bereits um.

Auch in anderen Staaten hat es bereits heftige Kontroversen um die Nutzung der Parole gegeben. In Österreich wurde im Oktober ihretwegen eine Demonstration verboten. In Großbritannien verhängte die Labour-Partei eine vorübergehende Strafe gegen den Abgeordneten Andy McDonald, weil er den Satz während einer Kundgebung verwendet hatte.

Und in den USA rügte das Repräsentantenhaus die demokratische Abgeordnete Rashida Tlaib - die einzige US-Abgeordnete mit palästinensischen Wurzeln. Sie hatte den Angriff der Hamas verurteilt, sich danach aber auch mehrfach kritisch über das israelische Vorgehen in Gaza geäußert - und dabei jenen umstrittenen Slogan verwendet.

Thomas Latschan Bonn 9558
Thomas Latschan Langjähriger Autor und Redakteur für Themen internationaler Politik